Rheinische Post vom 08.03.2025

Mit Jessica Böll und Leslie Brook

Wie eine junge Mutter gegen Krebs kämpft

Hund Bobbi erschnüffelte bei seinem Frauchen Jessica Böll, als sie 35 Jahre alt war, einen bösartigen Tumor. Wie der Krebs das Leben der Mönchengladbacherin veränderte und wie sie heute mit ihrem Verein Suumpfperlen und handgenähten Plüschkrebsen ehrenamtlich anderen Betroffenen hilft.

Koch. Bobbi ist ein Lebensretter. Ihr Lebensretter. Seine sensible Nase hat Jessica Böll alles zu verdanken. Der Labrador erschnüffelte den Knoten in ihrer Brust, der sich als bösartig herausstellt, lange bevor irgendjemand etwas ahnt. Bobbi war damals noch ein sehr junger Hund und erst seit einigen Monaten bei uns, erinnert sich die Mönchengladbacherin an das Frühjahr 2022. 

"Er war absolut fokussiert auf Brüste, hat bei allen Besucherinnen daran gerochen", sagt sie. Bei mir wollte er nicht locker lassen, hat sein Verhalten mir gegenüber komplett verändert. Immer wieder steckte er seine Schnauze unter meine Armenbeuge und legte seine Pfoten auf meinen Schoß. Richtig penetrant war das. Nachdem der Familienhund nicht locker lässt, wird Jessica Böll skeptisch. Gibt es da etwas, das er mit seinem Sinnen wahrnimmt, das anders ist als bei ihren Freundinnen? Als das auffällige Verhalten des Vierbeiners nicht aufhört, sagt sie zu ihrem Mann, ich lasse mich untersuchen, entweder bin ich schwanger oder todkrank.

Jessica Böll ist zu diesem Zeitpunkt erst 35. „Ich habe gar nichts gespürt, mit Brustkrebs hätte ich in diesem Alter nie gerechnet. Ich wusste nicht, dass man selbst einmal im Monat die Brust abtasten sollte“, gibt sie offen zu. Etwas, dass sie heute jeder Frau egal welches Alters raten würde, ebenso wie die Vorsorge beim Frauenarzt. Erst die Biopsie bringt Klarheit. Jessica Böll hat einen Sechs Millimeter großes Mammakarzinom. Der Tumor ist hormonabhängig. Sicherheitshalber werden auch die Lymphknoten entfernt.

Nach zwei Op's und der anschließenden Chemotherapie - Vier Einheiten über zwölf Wochen wird die Mitdreißigerin künstlich in die Wechseljahre versetzt. Auf zehn Jahre ist die Antihormontherapie angesetzt, je niedriger der Östrogenspiegel umso unwahrscheinlicher, dass die Erkrankung zurückkommt. Ihre Kinder sind als Jessica Böll am 17. Mai 2022 die Lebensveränderte Diagnose erhält noch sehr klein, ihre Tochter vier der Sohn zwei. „Ich habe einfach funktioniert und alles durchgezogen“. Erst als sie bereits wieder zwei Monate arbeiten geht, realisiert sie, was eigentlich mit ihr geschehen ist. 

Ich hatte einen mentalen Zusammenbruch. Bei einer Krebserkrankung behält nicht nur der Körper, sondern auch die Seele eine Narbe zurück. Bis heute seien die Krebserkrankung und deren Folge für sie eine persönliche Herausforderung. Andererseits hat sie das Erlebte auch stark und reflektiert gemacht oder wie die heute 38-Jährige es ausdrückt, „für mich war der Krebs eine Erweckung“. Damit meint Jessica Böll, dass sie das Leben anders zu schätzen gelernt hat und nun versucht, sich Träume zu erfüllen und nicht aufzuschieben. „Mein Mann und ich haben den Motorradführerschein gemacht“, nennt sie zum Beispiel. Das ist das große Bedürfnis, anderen, die dasselbe durchgemacht haben, zu helfen, ihnen etwas Positives mit auf den Weg zu geben. Letztendlich das Gefühl zum übermitteln, nicht allein zu sein.

Jessica Böll fängt an, wo sie selbst mit der Therapie aufgehört hat, im Bethesda. Dort besucht sie andere Patientinnen auf der Krebsstation und bringt ihnen als Zeichen einen kleinen Stofftierkrebs mit. Angefangen hat alles mit ihren eigenen Kindern. Wie erklärt man denen, was gerade mit ihrer Mutter passiert? Was ist mit einer Krebserkrankung auf sich hat? Jessica Böll sucht nach Büchern und anderen Mitteln, um das Thema Kindgerecht zu vermitteln, doch sie habe nichts Passendes finden können. Dann wird sie kreativ. Ich habe den ersten Jebo genäht, ein kleiner pinkfarbener Krebs. „Mein Sohn hat ihm Dinge anvertraut und Geschichten erzählt. Meine Tochter hat ihn in ihrer Wut auch mal gegen die Wand geworfen“, erzählt Böll. 

Endlich gibt es etwas Handfestes, das der Krankheit ein Gesicht verleiht. Jebo nennen sie ihn. Das steht einerseits für die ersten Buchstaben ihres Vor- und Nachnamens. In einer anderen Sprache heißt es schlicht „Scheiße“, was laut Böll in einem Wort ziemlich gut beschreibt, wie sich Krebs anfühle. Inzwischen gibt es Jebo in 13 Farben. Jede steht für eine andere Krebsart. Der Dunkelgrau-Schwarze zum Beispiel für Hautkrebs. Alle sind handgenäht. Auch gibt es für die Aufgaben viele Mitstreiterinnen und sogenannte Nähstopf-Events, die gleichzeitig einen Ort zum Austausch bieten. Die Jebos werden zusammen mit einem Beutel, der mit einem Herzkissen, einem Portkissen, selbstgestrickten Chemosocken und vielem mehr gefüllt und an Krebspatienten in ganz Deutschland und sogar ins Ausland versendet. 

Aus ihrer Idee ist ein Verein geworden. Er heißt Suumpfperlen und hat mittlerweile 55 aktive Mitglieder. Wobei das zweimalige U kein Schreibfehler ist. Im Logo ist der doppelte Vokal die Kontur der weiblichen Brust. Der Name spiegelt Jessica Bölls Humor wieder. Wir sind wegen der Krebserkrankung durch den Sumpf gegangen und als Perle wieder herausgekommen. Was ihr sehr wichtig ist, nur weil sie heute fast wieder wie früher aussieht, ist sie lange nicht mehr dieselbe. Weil die Chemonadel gezogen wurde und die Haare gewachsen sind, ist es nicht vorbei. Es gebe viele Tage mit schwarzen Wolken. Sie sei nicht mehr so leistungsfähig, habe Pflegegrad 2. Und darüber bin ich froh, denn Vollzeit werde ich nie mehr arbeiten können, sagt Böll, die bei einem Finanzdienstleister beschäftigt ist.

Während sein Frauchen in ihrem beschaulichen Heim in der kleinen Mönchengladbacher Ortschaft Koch ihre Geschichte erzählt, ist Bobbi immer in ihrer Nähe. Er ist mein Mammografiehund, sagt Böll, und fügt lachend und gleichzeitig ernst hinzu, „Bobbi ist der Einzige, der alle drei Monate an meinen Brüsten riechen darf.“ Bis jetzt zum Glück ohne seine Schnauze penetrant unter ihren Achselhöhlen zu stecken.