19.12.2024 - Ausgabe 4/2024 mit Jessica Böll
Mein Hund und mein Mann haben mir das Leben gerettet
Ein hartnäckiger Hund, eine Brustkrebsdiagnose mit 35 Jahren, ein intensives Therapiejahr und dann die Gründung eines gemeinnützigen Vereins für andere Betroffene, bei der ein kleiner
Kuscheltierkrebs eine große Rolle spielt – in Jessica Bölls Leben ist in den vergangenen Jahren sehr viel passiert.
„Im April 2022 hat unser Hund Bobbi sein Verhalten mir gegenüber plötzlich geändert: er war aufdringlich, drücke die Schnauze in die Achsel der betroffenen Brust, wollte
dauernd Aufmerksamkeit, hat mir die Pfoten auf die Beine.
Mein Mann sagte, dieses komische Verhalten vom Hund kenne er nur, wenn ich schwanger sei oder todkrank. Diese Aussage hat mich so beschäftigt, dass ich im Mai zur Gynäkologin gegangen
bin und ihr – halb im Spaß - gesagt habe „irgendetwas riecht der Hund“. Kurz darauf bekam ich, mit 35 Jahren und zwei kleinen Kindern, die Diagnose Brustkrebs. Unsere Tochter war damals
vier Jahre alt, der Sohn zweieinhalb. Durch die Biopsie wurde eine Brustkrebsvorstufe (DCIS) diagnostiziert, die man nicht unbedingt operieren müsse. Aufgrund meines Alters wurde
mir die OP aber empfohlen.
Dass ich mich dafür entschieden habe, war – nach der Aufmerksamkeit des Hundes – der zweite Glücksfall, denn bei der Operation im Juli fand sich ein zwar kleines, aber bösartiges und
schnell wachsendes, Östrogenrezeptor-positives Mammakarzinom. Daraufhin folgte die zweite OP mit Entfernung von zwei Lymphknoten – und dann ging alles weiter Schlag auf Schlag: ab
August Chemotherapie, anschließend Bestrahlung. Im Januar 2023 war die Akuttherapie bereits beendet; seitdem nehme ich die auf zehn Jahre angelegte Antihormontherapie.
Für die Chemotherapie war ich sehr dankbar – ich sehe sie als Lebensversicherung. Natürlich war die Zeit auch sehr anstrengend, aber die Chemotherapie war ein Prozess mit einem klaren
Ende im Gegensatz zur Antihormontherapie. Mit 37 Jahren in den Wechseljahren zu sein ist wirklich heftig. Der Hormonhaushalt ist durcheinander, die Haare fallen aus, der Stoffwechsel
ist träge und man nimmt zu. Als belastend empfinde ich jedoch die Gelenk und Knochenschmerzen. Ich brauche morgens lange, ehe ich aus dem Bett und in die Gänge komme. Wenn ich dann
mobil bin, geht es einigermaßen. Um mich zu bewegen, gehe ich spazieren, wandern und mache Seilspringen, um einer Osteoporose vorzubeugen.
Der Brustkrebs als Warnschuss
Für mich war der Brustkrebs ein Warnschuss: Ich war sehr fremdbestimmt, wie im Autopiloten, und die Diagnose Krebs hat plötzlich mein Leben umgekrempelt. Dadurch habe ich angefangen,
meine Denkweise zu verändern. Ich nehme mir Auszeiten und achte viel mehr auf mich. Als Familie und als Paar leben wir mehr: Mein Mann und ich haben z.B. den Motorradführerschein
gemacht. Wir reisen viel mehr, mit und ohne Kinder, und erfüllen uns mehr Wünsche als früher. Mein Mann hat mir während der gesamten Zeit das Gefühl gegeben, dass ich weiterhin eine
attraktive Frau bin, auch während der Chemo. Nun haben wir uns bewusst einen Freiraum geschaffen, indem wir die Kinder öfter zu den Großeltern bringen, damit wir uns als Paar wieder
finden und die Zeit in vollen Zügen genießen können.
Für Familie und Freunde war der Brustkrebs im ersten Moment ein Schock, aber es gab niemanden, der mir den Rücken gekehrt hat – im Gegenteil: ich hatte so viele wundervolle Menschen um
mich herum. Ich hätte niemals aufgeben können, insbesondere meine Eltern und mein Mann haben mich unterstützt und ermutigt. Ich hatte nie das Gefühl „ich kämpfe“, sondern wirklich immer
„wir kämpfen“.
Auch in meinem Job standen alle Kollegen komplett hinter mir. Als ich nach neun Monaten Akuttherapie, während der ich die Scheuklappen aufhatte, wieder arbeiten gegangen bin, kam der
mentale Zusammenbruch. Erst jetzt wurde mir so richtig bewusst: „Ich hatte Krebs!“ Daraufhin war ich ein halbes Jahr Zuhause; inzwischen arbeite ich wieder an drei Tagen pro Woche mit
insgesamt 18 Stunden. Allerdings merke ich, dass ich nicht mehr so belastbar bin. Kaum ist die Infusionsnadel aus dem Arm, denkt man ja, man sei in seinem alten Leben zurück – aber das
stimmt nicht. Ich bin z.B. sehr vergesslich geworden und habe Wortfindungsstörungen.
Meine psychische Verfassung ist etwas wechselhaft. Ich habe viele gute Phasen, in denen ich sehr dankbar dafür bin, dass ich so viel Glück hatte. Ohne meinen Hund hätte ich 2022 nicht mehr überlebt, das haben mir einige Ärzte gesagt. Aber es gibt auch die dunklen Phasen mit der Angst vor dem Rezidiv. Meine Kinder zum Beispiel sind gleichzeitig Fluch und Segen: Sie sind diejenigen, die mich aus den schwarzen Löchern holen, aber sie katapultieren mich auch hinein, wenn ich denke „hoffentlich nimmt ihnen keiner die Mutter“. Phasenweise bin ich auch wütend, weil ich den Krebs ungerecht finde – wenn ich sehe, dass ich erst 37 Jahre alt bin und mit den ganzen Nebenwirkungen zu kämpfen habe, dann fühle ich mich manchmal unfair behandelt. Gleichzeitig habe ich aber auch positive Lektionen gehabt: Ich bin nicht mehr fremdbestimmt, bin mutiger, lebe freier, erfülle mir mehr Träume, bin achtsamer,
wertschätzender, dankbare und nehme mir bewusster eine Auszeit „Me-time“. Es gibt nicht so eindeutig das Gute und das Schlechte, es ist einfach ein neues Leben.
Meine beste Verarbeitungsstrategie: das Ehrenamt
Meine wichtigste Verarbeitungsstrategie ist das Ehrenamt mit den „Suumpfperlen e.V.“, weil es wirklich das ist, was mir zur Heilung verhilft. Das Projekt hat ganz klein
angefangen: Während meiner Chemotherapie habe ich überlegt, wie ich den Kindern meine Krebserkrankung kindgerecht erklären könnte. Dazu haben meine Kinder und ich einen kleinen
Kuscheltierkrebs genäht, der eine Narbe und eine Krebsschleife auf dem Rücken hat.
Ich habe ihn „Jebo“ genannt, nach meinen Initialen Jessica Böll. Schnell wurde klar, dass Jebo meiner Krankheit ein Gesicht gegeben hat und ein Ventil für die damit verbundenen
Gefühle wurde. Meine Tochter hat mit ihm gekuschelt und ihm Geheimnisse anvertraut, mein Sohn war etwas rabiater und hat Jebo wütend gegen die Wand gepfeffert. Dann habe ich
gemerkt, dass das nicht nur meinen Kindern gutgetan hat, sondern auch mir. Auch ich habe den Jebo genommen und ihn zwischendurch mal gegen die Wand gedonnert. Das war so
befreiend, dass ich das Bedürfnis bekam, Jebo an andere Krebsbetroffene zu verteilen. Ich fand eine Firma, die den Jebo in kleiner Stückzahl produzierte. Zusammen mit weiteren,
gut abgestimmten, handmade Produkten für die Krebstherapie wurde Jebo in einer „Wegbegleiter-Tasche“ verschenkt. Als ich dies bei Instagram postete, lernte ich im September 2022
Britta kennen, die ebenfalls an Brustkrebs erkrankt und eine Wegbegleiter Tasche erhalten hat. Sie war sofort Feuer und Flamme über das einst kleine Familienherzensprojekt. Inzwischen sind
wir der eingetragene Verein „Suumpfperlen e.V.“, der Krebspatient*innen unterstützt und über Vorsorge informiert.
Bei der Arbeit im Verein erlebe ich häufig, dass Frauen und Männer, sowie Kinder, die eins aufgegeben hatten, wieder anfangen zu kämpfen – durch Jebo, unsere Unterstützung und durch meinen Bericht, dass ich es geschafft und sogar den Motorradführerschein gemacht habe. So wird auch bei den „Suumpfperlen e.V.“ aus dem „ich kämpfe“ ein „wir kämpfen“. Das ist unbeschreiblich schön.
Näh-, Stopf Events
Norden
04.01. I 15.02. I 29.03.
Westen
04.01. I 01.02. I 08.03.
12.04. I 17.05. I 21.06.
18.07. I 30.08. I 27.09.
18.10. I 15.11. I 13.12.
Zur Anmeldung
YES!CON 6.0, die größte Krebskonvention Deutschlands findet am 9. und 10. Mai 2025 statt und wir sind wieder mit dabei.
Muddy Angel Run Duisburg 2025
Am 28.06.2025 ist es wieder soweit und die Suumpfperlen sind beim Muddy Angel Run in Duisburg. Sei dabei und werde Teil eines wundervollen Teams. Zur Anmeldung
Spendenkonto
Suumpfperlen e.V.
Gemeinnütziger Verein
IBAN: DE04 3106 0517 0093 6940 15
BIC: GENODED1MRB
Volksbank Mönchengladbach